Sonntag, 12. August 2012

Narr


Am 28. Juni ging es los mit diesem Textanfang:
Jetzt die Geschichte, die ich nie erzählen wollte, weil ich immer gehofft habe, dass sie weiter geht, dass sie nur ein Anfang ist von einer größeren Geschichte, von der ich mir gewünscht habe, dass ich sie erleben werde. Doch die Geschichte geht nicht weiter. Sie hört aber auch nicht auf, wie es zu erwarten ist, wenn eine Frau und ein Mann es miteinander versucht haben und es ist nichts daraus geworden. Die Geschichte der Contessa. Jetzt die wahre, die tatsächliche Geschichte der Contessa. Wenn ich es schaffe, die andere Geschichte zu erzählen, die Geschichte, gegen die ich mich immer gewehrt hab, weil ich nicht dastehen wollte wie ein Idiot, der sich das alles nur einbildet: Ihr Eingehacktsein bei mir. Das Eingehacktsein ihres Typs oder ihres Ex-Typs. Und wenn sie einen Freund hat oder einen Lebensgefährten oder auch nur ein F**kverhältnis mit ihm oder sie waren einmal zusammen und kommen nicht voneinander los, was wollte sie dann von mir? ( … )

Folgten in den Tagen danach beinahe täglich andere Ansätze. Aber ich hatte einen Plan: die Geschichte, die mich drei Jahre lang beherrscht hatte, schreibend besser zu verstehen und von dem Narr zu erzählen, der ich darin war. Ich, der Narr, die Hauptperson. Sie und ihr Typ in meiner Geschichte nur Nebenfiguren, obwohl es im Leben umgekehrt gewesen war. Die beiden die Hauptpersonen in ihrem Paardrama, ich der Buffo-Charakter, der romantische alte Clown am Rande. Imaginärer Fluchtpunkt für eine sich langweilende Frau. Ich, gut genug für sie, um sich mit mir wegzuträumen. Das Love Interest Dummy, um ihren Typ eifersüchtig zu machen, aber doch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Warum war ich so versessen darauf, diese Geschichte zu erzählen? Je länger ich auf ihr herum schrieb, desto weniger verstand ich mich. Gut möglich, dass ich sie bald aufgegeben hätte: Ich habe genug Scheisse gefressen in dieser Geschichte, ich muss sie nicht auch noch schreibend wiederkäuen. Es hätte natürlich auch sein können, dass beim Schreiben etwas Überraschendes passiert, das über das erlebte Elend hinausführt. Diese Möglichkeit gibt es immer. Deshalb schreiben wir. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen gab es am 4. Juli eine Hackerattacke, wie es noch keine gegeben hatte. Und es war nicht nötig, mir einen Erpresserbrief mitzuschicken, damit die Botschaft bei mir ankam. Sie drohten mir. Wenn du das veröffentlichst, was du gerade schreibst, machen wir dir deinen Blog platt und das können wir, weil wir das Passwort zu deinem Google-Account haben (zugleich mein Bloghost-Account). Das war der größte Schrecken, den sie mir eingejagt haben: dass nun zweifelsfrei klar war, dass sie mein Passwort haben und ich mit dem Blog ihrer Willkür ausgeliefert bin. Die Demonstration, wie sehr ich ihnen ausgeliefert bin, folgte 14 Tage später, als einer von ihnen mit mir Jojo spielte (siehe Nazi-Jojo). Und das ist nach wie vor der Stand, der Frontverlauf, die Konfliktaufstellung. Sie: Wir hören so lange nicht auf, dich zu quälen, bis du das Projekt aufgibst. Ich: Wie gerne würde ich es aufgeben, aber ich kann mich doch nicht denen unterwerfen. Und wenn ich es täte, wer garantiert mir, dass sie dann wirklich aufhören mit dem Onlinemobbing (Anonym) und nicht die nächsten Forderungen stellen: den Blog zu löschen oder wenigstens die Einträge, in denen er, der Mann mit seiner wichtigen Reputation, vorkommt. Ach, und wenn das geschehen ist, suchen Sie sich bitte noch eine andere Wohnung, die mindestens zehn U-Bahnstationen entfernt ist.

Trotzdem einfach mal mit ihnen reden? Mir mal anhören, was sie sich vorstellen? – Willkommen im Herz der Finsternis. Denn sie beantwortet keine Mails von mir, und wenn sie es täte, würde sie mit Sicherheit daran festhalten, dass sie nicht die ist, für die ich sie halte (Bezaubert). Während er sie gar nicht kennt und auch wirklich nicht weiß, worüber er mit mir reden soll. Doch wenn ich unbedingt will, gerne. Nur um eins möchte er bitten, dieses Mal nicht in seiner Wohnung, sondern irgendwo draußen.

Welche Optionen habe ich noch? – Nachdem ich mir schon so viel Ärger eingehandelt habe mit der Geschichte, mache ich auch weiter damit: keine große Sache, vielleicht nur eine kommentierte Passage durch die Texte, die ich schon habe. Oder ich tue, was ich mir wünsche, seit ich heute im Morgengrauen aufgewacht bin: ich mache mich frei von all dem; ich versenke die Texte in einem Archivordner, ich denke nicht mehr an die Geschichte, ich vergesse all diese Überlegungen und ich ignoriere die Attacken der beiden Hacker – es sei denn, sie treiben es zu toll, dann ich gehe zur Polizei. Was ich nicht gerne täte. Viel lieber würde ich den Fall der beiden der Nemesis überlassen. Nemesis heißt strafende Gerechtigkeit und ist kein antiker Zauber, braucht auch keine Götter, keine hellenischen und keine anderen. Wer lange genug lebt, kann sehen, dass es Nemesis wirklich gibt, als ein Gesetz des Lebens.

Drei Tage Bedenkzeit. Und morgen noch einen Nachsatz.