Sonntag, 26. August 2012

Deaktivieren



Zum Test, ob ich allein bin, schreibe ich seit langem zum ersten Mal wieder am alten Sony und an meinem improvisierten Stehpult. Sie haben einen zweiten Boot Sector angelegt, hat der Freund des Freundes gesagt, der helfen wollte. Hat es so gesagt, als wäre ein zweiter Boot Sector die Schreckenskammer des Hackens. Die betreiben einen Rechner in deinem Rechner. Da kann ich nichts machen. Da müssen die Experten von Polizei oder Geheimdienst ran. Geheimdienst hat nicht er gesagt, das habe ich gedacht und war beeindruckt. Der Rechner im Rechner startet, wenn ich meinen Rechner starte, dazu muss ich nicht online sein. Und online geht der Rechner im Rechner dann von sich aus. Über ein Heimnetzwerk, das sie hinter meinem Rücken betreiben. Auf die Entfernung von zwölf Metern, die zwischen unseren Wohnungen liegt, ist das technisch keine große Sache. Zu berücksichtigen ist nur, dass ein zweiter Boot Sector eine ganz normale Einrichtung ist auf einem Notebook. Die Programmdateien zur Wiederherstellung werden damit gestartet, erklärt mir Niklaus, der mir seit Jahrzehnten bekannte Aristoteliker, Opernkritiker und Linux-Prophet. In letzterer Eigenschaft ist er bei mir zu Besuch. Es ist mir nämlich nicht gelungen, eine CD mit der Linux-Distribution Ubuntu auf dem alten Sony zu booten, um damit Windows zu ersetzen und zugleich den ganzen dort verbunkerten Bösen-Buben-Kram loszuwerden. Aber dann schafft Niklaus es auch nicht, kennt das allerdings schon, dass es erst mal nicht klappt, die Linux-Installations-CD auf einem Windows-Rechner zu starten. Und als ich sage, dass die Hacker ein Heimnetzwerk hinter meinem Rücken betreiben, da guckt er einen Moment lang so, als wolle er mir diesen Blödsinn auch noch ausreden wie zuvor den mit dem Boot Sector. Doch dann sagt er nur: Da musst du eben alle Netzwerkkarten deaktivieren. Du willst das Sony doch sowieso nur noch als Schreibmaschine nutzen. Ich bestätige das und bin verblüfft, dass es so einfach sein könnte. Und er sagt, lass uns das gleich mal machen.

Das war gestern Abend. Jetzt ist heute Mittag. Und vorhin sah es schon wieder so aus, als hätte alles nichts genutzt. Für Niklaus würde das dann bedeuten, dass wir es mit Metaphysik zu tun haben, wie er lachend meinte gestern, nachdem wir die Netzwerkadapter abgeschaltet hatten. Denn physikalisch ist es unmöglich, dass der Rechner jetzt noch Daten senden oder empfangen kann. Ich nehme das nicht so streng. Wenn ich einen Vodoo-Hintergrund aufdecken würde und daneben läge ein Zettel mit Anweisungen, wie man den Zauber deaktiviert, ich würde es sofort machen. Physik oder Meta-physik: Bevor ich hier nicht eine Woche ohne Eingriffe von außen schreiben konnte, glaube ich gar nichts und an dem Rechner, mit dem ich ins Internet gehe, hänge ich sowieso weiter am Jojo der zwei Hacker. Ein Mann und eine Frau. Ich habe mich nun so viel mit ihm beschäftigt. Es ist an der Zeit, auf sie zurück zu kommen, um endlich zu erzählen, wie alles angefangen hat: mit einer taubenblauen Badekappe und ihrem Eingehacktsein bei mir. Aber wäre es nicht besser, wenn ich aufhören würde, mich mit dem Thema zu beschäftigen? Wäre es nicht besser, wenn ich das, was ich mir so sehr wünsche - dass es endlich aufhört, was vor mehr als drei Jahren angefangen hat -, wenn ich das antizipieren würde, indem ich aufhöre, daran zu denken und darüber zu schreiben, es mir erklären zu wollen, indem ich es mir immer wieder vergegenwärtige? Dann also keine Collage aus Erinnerungen und Gedanken? Ich muss Opfer bringen; nicht als Angebot an die Hacker, als ein Angebot ans Leben. Aktion innerer Friede (peace of mind). Gestützt auf die ehrenwerte Überzeugung, dass alles nur von mir abhängt. Schön wär´s. Realitätsnähere Möglichkeit: Ich gehe von hier weg. Wüsste ich, wohin, ich hätte es schon längst getan. Dritte 
Möglichkeit: die harte Tour. Wenn sie nicht aufhören, wenn alles nichts nützt, werde ich nicht drum herum kommen. Ich kann es eigentlich auch kaum erwarten, damit loszulegen. Wenn es nur nicht so gefährlich wäre! Weil er, der Mann von den beiden, nun mal kein berechenbarer Gegner ist: zu jäh, zu sehr von sich überzeugt. Das Szenario ist jedenfalls, dass er vor mir steht mit erhobenem Arm, einen Stein in der Hand hat und mich damit bedroht. Die harte Tour ist, dass ich auf einmal auch einen Stein in der Hand habe und ihn nun auch bedrohe. Damit konnte er nicht rechnen und es ist ein richtig ekliger eckiger, scharfkantiger Stein. Da muss er sehr stark sein in dem Moment und besonnen, um das Richtige zu tun. Wenn er durchdreht, weil er in Panik gerät, oder zu wütend wird, weil er glaubte, nur er könne böse sein, dann gibt es ein Gemetzele. Das ist das Gefährliche an der harten Tour. Deshalb sollte ich doch lieber darauf verzichten, obwohl es das wirksamste Vorgehen wäre, um endlich diesen schon viel zu lange sich hinziehenden Konflikt zu beenden. Aber vielleicht würden sie das ja auch gerne tun. Und vielleicht sind sie sogar schon dabei sich zurückzuziehen. Das merke ich in den nächsten Tagen. Der Rückzug müsste dann allerdings vollständig und unumkehrbar sein. Das merke ich auch, ob er vollständig ist und unumkehrbar, heißt: dass sie ihre Infrastruktur aufgeben, die physische  u n d  die metaphysische. Sie wissen schon, wie ich das meine.