Montag, 24. September 2012

der/das


Der Blog ist umgangssprachlich gebräuchlich, wird deshalb von Duden und Wahrig als zulässige Nebenvariante genannt. Aber korrekt muss es das Blog heißen, weil das WeBLOGbuch. Das Buch.

Klingt nur so affig und ganz besonders affig finde ich es jedes Mal, wenn die perlentaucher-Leute, welche die Korrektheit sowieso schon mit Schöpflöffeln gefressen haben, wieder mal jemanden rüffeln, weil er zu allen seinen anderen Verfehlungen sich an die Umgangssprache gehalten und der Blog geschrieben hat.

In so einer Gesellschaft sich nicht befinden wollen. Deshalb lieber immer weiter der Blog. Mit der Verabredung, wenn sie bei Spiegel Online eines Tages von umgangssprachlich auf korrekt umstellen, dann stelle ich mich auch um. Das haben sie jetzt getan, als sie letzte Woche ihren eigenen Blog angekündigt haben: Ein Blog für den Spiegel. - Als sie letzte Woche ihr  e i g e n e s  Blog angekündigt haben.

Das wird nicht leicht.

Freitag, 21. September 2012

Herzlos?


Der Mann sitzt aufrecht nur mit seinem Rumpf im Rollstuhl. Er hat volles, wellig zurückgekämmtes Haar und sieht damit aus wie aus der Zeit, als Friseure noch heimlich schwul waren. Sein Anblick tut weh.

Als ich auf dem Rückweg noch einmal an ihm vorbeigehe, höre ich ihn rufen: Eine Spende! Eine Spende! - An der linken Armlehne seines Rollstuhls ist ein hellblauer Plastikbehälter mit einer runden Öffnung angebracht. Ich denke keine Sekunde daran, eine Münze in die Öffnung zu werfen, wünsche dem Mann aber von ganzem Herzen, dass er ein Trickbetrüger ist und wenigstens seine Arme geschickt verborgen hält, und wenn er sehr geschickt ist, sogar seine Beine. 

Mittwoch, 19. September 2012

Auszug


Mann zieht nach 52 Jahren aus. In eine kleinere Wohnung. Umzug Anfang Oktober. Seit Monaten legt der Mann im Treppenhaus Sachen hin, von denen er meint, dass ein Hausbewohner sie gebrauchen oder Spaß daran haben könnte wie heute an den kaputten Handpuppen. Die Sachen, die er für uns hinlegt, werden immer älter und die Geste kriegt allmählich etwas Verzweifeltes.



Theresia



Mit herzlichem Dank an Nina für die prompte Zusendung der Bilddatei.

© Nina Röder

Sonntag, 16. September 2012

Goetz


Der Hugendubel-Laden in der Kurve von der Tauentzienstraße zum Kurfürstendamm ist so was von weg, dass ich mir auf einmal nicht mehr sicher bin, ob er wirklich mal an der Stelle war, und ich mich bei dem Mann vergewissere, der eben um sein Kiosk herum gefegt hat und jetzt wieder reingeht. 
Entschuldigung! Kann ich Sie was fragen?
Wenn es schnell geht.
Hier war doch mal Hugendubel.
Ja, ist weg.
Seit?
März.
Danke - und Batsch! - zu die Tür. Das ist sie.


Blöd ist, dass ich mich jetzt nicht in die Lesekoje setzen kann, um in den neuen Roman von Rainald GoetzJohann Holtrop, reinzulesen, womit vielleicht schon klar gewesen wäre, mehr ist nicht nötig, mehr brauche ich nicht zu lesen als 30 Seiten quer. Aber es gefällt mir auch, so anschaulich zu erleben, wie ratzfatz das geht mit dem Wandel - technologisch, ökonomisch, kulturell. Bücher werden weiter gelesen, aber nicht mehr gehandelt in einem Supermarkt wie Hugendubel an dieser Stelle. Schade allerdings um die Einrichtung der Lesekoje. Jetzt muss ich warten, bis der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins liefert. Auf Position 3 bei den Vormerkungen stehe ich. Wenn ich in der Lesekoje herausgefunden hätte, dass der Goetz-Roman das Schlaumeierbuch ist, das wir von ihm erwarten können und sonst gar nichts, hätte ich meine Vormerkung heute noch löschen können. So bleibt es möglich, dass Goetz der große erzählerische Wurf gelungen ist. Grundsätzlich möglich. Denn ein großer erzählerischer Wurf war schon sein erster Roman nicht. Irre war literarisch zurechtgemachte Autobiografie, und als er damals in Klagenfurt daraus las und sich danach die Stirn aufgeschlitzt hat, um zu bluten wie eine abgestochene Sau (aber keine Sorge, der blutende Clown ist Dr. med.), da hat er das auch deshalb gemacht, weil er damit als Preisträger disqualifiziert war, und so frei von dem Makel bleiben konnte, als doppelpromoviertes Wunderkind und bei regulärem Verfahren den Bachmannpreis nicht geschafft zu haben. Also nicht dumm dazustehen wie jetzt, mit dem Makel, es nicht in die engere Auswahl (Shortlist) von sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreis geschafft zu haben mit seinem neuen Roman. Was ihm recht geschieht. Denn was hat er sich auch diesem Wettbewerb gestellt, da er ihn letzten Endes verachten muss? Was hat er überhaupt einen Roman geschrieben, da er als Schriftgelehrter seines Formats weiß, dass das ernsthaft gar nicht mehr geht und dass es schreiberisch / erzählerisch Wichtigeres zu tun gibt für einen wie ihn, wenn auch nicht beim Suhrkamp Verlag. Was natürlich schade ist wegen der Vorschüsse und wegen der schönen alten BRD-Hochkultur. In Wahrheit verachtet er den Deutschen Buchpreis doch auch gar nicht. Und in Wahrheit hat er geglaubt, wenn noch einmal einer den großen gesellschafts- und zeitdiagnostischen Roman packt, dann er mit seinem Systemtheorie-Apparat, mit dem er rumzieht. Mit 58 Jahren immer noch nicht über sein Hörsaalerweckungerlebnis mit Niklas Luhmann hinweg gekommen, wie er von der Universität nie losgekommen ist (meine geliebte Ludwig-Maximilians-Universität). Rainald Goetz, der ewige Student des Literaturbetriebs. Aber niemand war besser als Blogger als er. Klage ist der wichtigste deutschsprachige literarische Text der Nullerjahre. Aber so sehen sie das bei Suhrkamp nicht. Ohne Roman bist du da nichts. Und irgendwann bist du ohne Verlag, weil sie es einfach nicht schnell genug kapiert haben. 


Da war mal Hugendubel.

Donnerstag, 13. September 2012

Dreck

Die Frau mit dem Einkaufstrolley hat gesehen, dass ich die Apotheke und ein paar Schritte weiter die Kneipe fotografiert habe, und jetzt fragt sie mich, was es denn da zu fotografieren gibt. Die furchtbaren Balkone? - Da ich alle Menschen ernst nehme, viele dann aber doch nicht so richtig, antworte ich: Es geht nicht um das einzelne Bild. Das Bild steht im Zusammenhang einer Geschichte, die ich erzähle. Da habe ich nämlich noch vor, die Bildgeschichte über die Kirche von Johann König damit zu beginnen, dass ich das Viertel zeige, in dessen Mitte die Kirche sich erhebt zu ihrer ganzen Scheußlichkeit (ich bin immer noch nicht drüber hinweg). Die Frau fragt mich nicht, was für eine Geschichte ich erzählen will mit den Fotos. Die Frau würde es auch nicht interessieren, wenn ich ihr von Johann König erzählen würde. Und für mich interessiert sie sich nur, weil sie sich bei mir über den Niedergang des Viertels beklagen kann, in dem sie seit 50 Jahren wohnt. 

Der Niedergang kommt daher, dass hier mittlerweile ganz andere Menschen leben als früher. Leute, die ihre Wäsche aufhängen, wo und wie es ihnen passt. Als wären sie zu Hause bei sich in Italien, sagt die Frau. - Dann sind Sie also ausländerfeindlich? frage ich. - Nein, auf keinen Fall ist sie ausländerfeindlich. Aber es kann doch nicht jeder machen, was er will. Wenn sie zurückdenkt, was es früher für strenge Regelungen gegeben hat in der Siedlung. - Ich möchte noch ein bisschen über Fremdenfeindlichkeit reden und die Frau damit quälen. Ich sage, Ausländer zeichnen sich nun mal dadurch aus, dass sie anders sind. - Da lacht sie und sagt vergnügt, das stimmt.

Sie bleibt vor dem Eingang zu einer Wohnanlage stehen. - Wohnen Sie hier? - Nein. Sie besucht ihre Schwester. Hier könnte sie es nicht aushalten. Bei dem Dreck in dem Haus. - Das Wäscheaufhängen. Der Dreck. Die Höflichkeit. Ich kann sie nun nicht einfach stehen lassen, nachdem ich so lange mit ihr geredet habe. Ich erkundige mich, wo sie wohnt. Sie zeigt in die Richtung, aus der wir kommen. Dort gibt es anscheinend nicht so viel Dreck und so ruhig ist es da, dass sie nachts das Schlafzimmerfenster offen lassen kann. - Das heißt doch dann aber auch, dass die Gegend sicher ist. - Nein, das heißt es nicht. Sie hat natürlich die Jalousien unten. Rollläden, meint sie wahrscheinlich. Aber bloß jetzt nichts mehr sagen. Weg, weg, weg! 1961 ist sie in das Viertel gezogen. Wie alt war sie da? Fünfundzwanzig, dreißig? Und mit dem Dreck in dem Wohnblock, in dem ihre Schwester wohnt, ist es so, dass die Hausverwaltung sich nicht um ihn kümmert. Nur wenn man sie anruft. Dann kommt jemand und macht den Dreck weg. Aber kaum ist das geschehen, ist der Dreck wieder da. Da hat sie auch gelacht, als sie das erzählt hat.

Mittwoch, 12. September 2012

Montag, 10. September 2012

Touristen

Eine Freundin ist Anfang 30. Sie hat sich im Mai letzten Jahres von ihrem damaligen Freund getrennt und lebt seither alleine. Fast schon eineinhalb Jahre lang. - Ich bin auch nie von einer Frau zur nächsten gegangen. Ich habe immer eine Zeit gebraucht, um die vergangene Liebe hinter mir zu lassen und wieder bereit zu werden für eine neue Liebe, sage ich. - Das ist bei ihr ganz genauso. antwortet die junge Frau. Wenn sie ihre Freundinnen betrachtet, die jedesmal von einer Beziehung direkt in die nächste wechseln, dann fragt sie sich, ob die sich nicht selbst verloren gehen bei dem, was sie da machen. Nur, weil sie es nicht ertragen, alleine zu sein, oder es für ein persönliches Versagen halten. So jedenfalls will sie nicht leben wie diese Freundinnen. Dass sie dann lieber alleine ist, das sagt sie allerdings nicht. Sie sagt, dass es schwer ist in ihrer Altersgruppe in Berlin einen Mann zu finden. Denn die Stadt ist voll mit jungen Männern aus aller Welt, die angelockt vom Berlin-Hype hierher kommen wegen Spaß und Abenteuer und nach einem halben, dreiviertel Jahr sind sie wieder weg.

Leben in einer Touristenstadt.

Donnerstag, 6. September 2012

Pferde


Sie sind entweder höhere, für mich unerreichbare Intelligenzen oder sie machen immer den gleichen Fehler und tappen Mal um Mal in eine Falle, die ich ihnen gar nicht gestellt habe.

So wie es in der Vorbemerkung steht, wollte ich die vier Text-Collagen behandeln: kurz auf sie hinweisen, und damit gut. Wer den  Blogeintrag von heute dazu  liest oder irgendwann Das Biest soll sterben aufruft, findet die Texte und kann sich überlegen, ob er sie aus Neugier liest oder ob er angesichts der Textmenge meine Warnung nicht lieber ernst nimmt und es sein lässt.

Nun kommt aber niemand anders in Das Biest soll sterben, als über das Posting von heute. Das permanente Das Biest soll sterben-Link am Blogrand von Biest zu Biest ist blockiert. Ich will lieber nicht wissen, ob schon seit längerem; bemerkt habe ich es erst heute. Und nun werde ich natürlich alles tun, um den Lesern Zugang zu dem Blog zu verschaffen. Indem ich immer wieder die Blogadresse nenne, damit sie die in die Suchleiste ihres Browsers kopieren und aufrufen können. Googeln kann man Das Biest soll sterben nicht, weil der Blog so eingestellt ist, dass ihn die Suchmaschinen nicht finden. Daran will ich nichts ändern. Lieber wiederhole ich nun täglich die Adresse: dasbiestsollsterben.blogspot.com  - und damit richte ich eine solche Aufmerksamkeit auf die vier neuen Texte, wie ich es gar nicht wollte, wie ich es auch jetzt noch lieber vermeiden würde, aber das geht nicht, weil die Leute, die mir entweder intellektuell überlegen sind oder es einfach nicht merken, dass sie immer wieder den gleichen Fehler machen, sie lassen mir keine andere Wahl.

Sie hören nicht auf, mir ihren Willen aufzuzwingen. Egos so groß, dass sie vor Kraft gar nicht anders können, als Zwang auszuüben. Jenseits von Falsch oder Richtig. Reiner Wille zur Macht. Nietzsche. Was für ein Jammer, dass es im Straßenverkehr keine Pferde mehr gibt, vor denen niedergekniet und die umarmt werden können. Wenn ich das jetzt auch noch miterleben könnte, wie das jemand macht, ich würde selbst ein Pferd umarmen.

Das Biest soll sterben. - Hier haben sie das Link nicht blockiert. Das Biest soll sterbenDas Biest soll sterbenDas Biest soll sterben. Keine Ahnung, wie das Pferd hieß, das Nietzsche umarmt hat. Friedrich Nietzsche. Der Wille zur Macht. Nicht mehr fertig geworden seine letzte Abhandlung. Nachdem er das Pferd umarmt hatte, war zappenduster.

Sonntag, 2. September 2012

Leer

Mehr noch als Liebe fehlt mir Nikotin.



Ablenkung beim Tango in Friedenau (*).








(*) Tanzeinlage gesehen heute Vormittag bei der Vernissage in der Kunstkammer Friedenau.