Mittwoch, 31. Oktober 2012

Verworfen




Geheimer Ort heißt nur, dass von dort nicht gebloggt wird, wenigstens nicht täglich, und auch mal was ausprobiert werden kann und gleich wieder verworfen, ohne dass es erklärt werden muss, wie das jetzt mit der Verachtung und ihrer Heilung in einer Schreibaktion am geheimen Ort, ohne Rücksichtnahme. Huhu! Da werden sie sich aber gefürchtet haben, die Selbstverliebten, als sie das lasen. Keine Sorge. Hat nicht geklappt. Am Ende war es nur wieder eine Verdoppelung des Elends. Meines Elends. Und den Selbstverliebten geht es gut.  

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Insgeheimer


... beneide insgeheim alle, die ihre Selbstverliebtheit noch so ungehemmt ausleben können wie sie - ist keine reine Lüge, aber wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich es hier richtigstelle, hätte ich es gleich wieder gestrichen. Wieder so eine Zuvorkommenheit gegenüber der Salondame, weil sie eine Salondame ist, und am Ende kriegt sie es gar nicht mit. Aber darauf kommt es nicht an. Ich wollte mich nur nicht so hinstellen, als hätte ich selbst mit all dem nichts zu tun. Wie es nun aussieht, wenn ich bekenne, wie es tatsächlich ist: wie sehr ich sie verachte, die Selbstverliebten, und wie ich meine Verachtung steigern kann zu einem solchen Menschenhass, dass es am Ende gesünder wäre für mich, wieder eine Affäre mit mir selbst anzufangen. So sieht es in Wirklichkeit aus insgeheim. Verachtung. Hass. Haarsträubendes Entsetzen über mich. Und wenn ich endlich mal wieder Spaß haben wollte beim Schreiben, richtigen Spaß, dann würde ich die Königin der Selbstverliebten küren und zur Wahl würden stehen die Salondame und eine Bewerberin, die es einfach nicht verdient hat, dass ich sie da mit hineinziehe, aber sie hätte beste Chancen, am Schluss die Krone auf und die Nase weit vor der Salondame zu haben bei der Kür. Wenn ich mir meine Verachtung für die Selbstverliebten anschaulich machen will, brauche ich mir nur diese Frau vorzustellen, die es aber nun mal nicht verdient hat, dass ich sie benutze, um meine Verachtung anschaulich zu machen und abzureagieren. Wie es auch die Salondame nicht verdient hat. Wie es niemand verdient hat von einem Standpunkt der Korrektheit aus gesehen. Also werde ich es ganz alleine mit mir ausmachen müssen und mich zurückziehen. An einen geheimen Ort, wo es nur mich gibt und meine Verachtung und keine Rücksichtnahme und Heilung vielleicht ... .  

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Geplapper

Die Zufallsinstallation am Laternenpfahl in der Innsbrucker Straße ist ein Glücksfall und ich merke es gar nicht gleich. Trete nur im Vorübergehen sachte gegen den Ball. Es ist noch ein Rest Luft drin. Ich passe den Ball mit dem Absatz zurück auf seine ursprüngliche Position und jetzt erst erkenne ich: das ist ein abgewracktes Fernsehgerät, was da liegt, und die weiße Tüte ist vollgestopft mit zerknüllten Verpackungen von einer Pommesbude. Ich mache das Foto und denke: Fastfood, Fernsehen, Fußball. Alles auf einen Blick. Das  ist auch mein Text zu dem Foto. Dazu fällt mir ein, dass am Abend die deutsche Fußballnationalmannschaft im Olympiastadion gegen die schwedische Auswahl spielt. Bei deutsche Nationalmannschaft habe ich die Assoziation: geföhnte Jungs. Das wähle ich als Titel des Blogeintrags. Nachdem ich das so gepostet habe, bin ich unzufrieden. Ich streiche Fastfood, Fernsehen, Fußball, weil man das auf dem Foto ohnehin sieht; die Fastfood-Verpackungen allerdings nicht so deutlich. Es bleiben die geföhnten Jungs und der Hinweis auf das Spiel am Abend. Zu dem Hinweis passt die Assoziation geföhnte Jungs, zum Foto passt sie nicht. Ich mache sie passend, indem ich sie als Frage formuliere: Genug von den geföhnten Jungs? - So lasse ich das über Nacht. Derweil spielen die beiden Mannschaften unentschieden: 4:4. Das Ergebnis und die Umstände, unter denen es zustande gekommen ist, interessieren mich nicht. Ich kann nur die aktuelle Spielergeneration und den Trainer nicht leiden und ich will nicht, dass der Blogeintrag gelesen wird als ein Kommentar zu dem Spiel. Also weg mit geföhnte Jungs und das ist auch deshalb gut so, weil ich will mich nicht beteiligen an der homophoben Polemik gegen das Löw-Team (Schwulen-Combo). Neuer Titel: Länderspiel, dazu der Hinweis auf die Veranstaltung, mehr nicht. Und trotzdem wird der Blogeintrag gelesen werden als Kommentar zum Spiel, dessen verunglücktes Ergebnis ich doch gar nicht kennen konnte, als ich ihn gepostet habe. Was für die Leser nur heißen kann, dass ich hinterher ganz besonders schlau sein wollte. Es wird immer schlimmer. Das Arrangement des abgewrackten Fernsehgeräts mit der Abfalltüte und dem Fußball nun zu lesen als das Statement eines enttäuschten Fans. Ich habe es vermasselt. Ich gebe auf. Ich lasse es, wie es ist. Der Fehler war, dass ich das Geplappere der Assoziationen nicht unterdrückt habe: geföhnte Jungs, der Veranstaltungshinweis, Fastfood ... . Ich hätte einen Titel finden müssen, der nichts mit Fußball zu tun hat. Am besten wäre gar kein Titel gewesen - damit das Foto ungestört seine Geschichte erzählen kann. 

Alternative Aufnahme: 



Sonntag, 14. Oktober 2012

Rücksichtnahme


Vielleicht ist der alte Mann mit dem Knabengesicht auch deshalb so unnatürlich breitbeinig gegangen, weil er eine Windel getragen hat, und so weh hat es getan, weil die Windel scheuerte. Er nur noch Haut und Knochen, sein ganzer Körper in Auflösung. Aber um Besorgungen zu machen in der Kaiser-Wilhelm-Passage, reichte es noch.

In guten Zeiten hatte ich ihn ein paarmal in Begleitung seiner Frau gesehen. Zu erkennen, dass es seine Frau war, alleine schon daran, wie stolz er gegangen ist an ihrer Seite. Wo war die Frau jetzt? Vor ihm gestorben? Noch am Leben, aber noch elender dran als er? Oder hatte sie ihn einkaufen geschickt, damit er einmal raus kommt und nicht immer nur vor dem ausgeschalteten Fernsehgerät sitzt und brütet, brütet, brütet.

Obwohl wir uns über einen Zeitraum von vier, fünf Jahren regelmäßig begegnet sind, im Hallenbad, auf der Straße, beim Einkaufen, ist es nie dazu gekommen, dass wir uns gegrüßt haben. Ich habe es ein paarmal versucht und ihm zugenickt. Aber da hat er ein verschlossenes Gesicht gemacht und sich abgewendet. Er muss in mir etwas gesehen haben, das er ablehnte. Er eine Gestalt wie mit dem Lineal gezeichnet: aufrecht und akkurat. Ich auch aufrecht, doch überhaupt nicht akkurat. Dafür deutlich jünger. Kann sein, dass es nur das war: dass es ihn geärgert hat, dass er vor mir sterben wird. Als es dann so weit war, hätte ich mich am liebsten versteckt vor ihm die letzten beiden Male, da sich unsere Wege gekreuzt haben. Weil ich es ihm lieber erspart hätte, mir zu begegnen in seinem erbärmlichen Zustand. Aber das ist mir erst hinterher eingefallen, dass ich mich vor ihm hätte verstecken können, um Rücksicht auf ihn zu nehmen.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Abriss der Gesellschaft

Wenn sie alles haben, was sie brauchen, und tun können, was sie wollen, dann spielen sie den ganzen Tag an ihren Telefonen herum und den Mann, der ihnen die Dinger angedreht hat, halten sie für ein Genie.

Ginge es um die Oberen und ihre Defizite, hätten wir schon längst gewonnen und der Dichter Goetz könnte jeden Tag ein noch schöneres Liebesgedicht schreiben für Constanze Zegna, die nur so heißt wie ein italienischer Edelschneider, tatsächlich aber so deutsch ist wie der Goetz und als Journalistin auf dem gleichen Pfad des Irrtums wie er, wenn sie meint, das System entlarvt zu haben, nachdem sie einen seiner Macker der Dummheit überführt hat. Auf dem Rücksitz seiner vom Chauffeur gesteuerten Mercedes-Limousine. Und abends geht es zum Ausklang des Interviews in die Paris Bar, wo der Macker weitere Defizite offenbart, indem er von dem teuren Rotwein, den er bestellt hat, nichts versteht. Natürlich macht das mehr Spaß als Recherchen bei den Massen in den zweiten Klassen. Aber machen wir uns nichts vor: Alle Macht und Ohnmacht geht vom Volke aus

Rainald Goetz, Johann Holtrop, Abriss der Gesellschaft, Roman

Montag, 8. Oktober 2012

Oh Superman





Seltsame Art, in einen Montag zu starten: Ich lese die letzten 150 Seiten des Goetz-Buchs in einem Sitz: um es endlich hinter mir zu haben und mich danach gedanklich entfernen zu können. Ja, genau so geschwollen ist es, weil ich auch nichts äußern möchte zu dem Roman, denn dann muss ich es begründen, das ist aber schon unangemessener Aufwand. Also ohne Begründung: Das Buch ist nicht misslungen, es ist schlecht, richtig schlecht, also schlimm und das schon in der Anlage, als der Autor beschlossen hat, ihm aus der Presse bekannte Wirklichkeitsfetzen und in Gesprächen mit einer Hamburger Journalistin abgelauschte Eindrücke zu montieren mit Erfundenem, ohne sich im Klaren darüber zu sein, dass er kein Erfinder ist, auch dann nicht, wenn er noch so viel Fachwissen über Behandlungsmethoden in psychiatrischen Kliniken abrufen kann dank des Umstandes, dass er selbst Medizin studiert hat und mindestens einer seiner Brüder als Mediziner arbeitet. Während er kein Erfinder ist, sondern irgendwie ein Denker von Aperçus zu Themen wie: warum uns der Dreck der Bild-Zeitung Spaß macht. Ich lese täglich Bild.de. Mir macht das keinen Spaß. Und im Goetz-Buch habe ich mehr Dreck gelesen als in einer Woche Bild.de, ich übertreibe - als an zwei Tagen Bild.de. Am Ende lässt er seine Titelfigur Holtrop, die er bis dahin aus der Vita des Bertelsmann-Auf-und-Absteigers Thomas Middelhoff gepuzzelt hat, den Freitod des schwäbischen Unternehmenspatriarchen (Ratiopharm) Adolf Merckle sterben, der sich im Januar 2009 von einem Zug hat überrollen lassen. Und da Rainald Goetz im Kino gewesen ist und Jean Luc Godards Film Pierrot le fou (1965) gesehen hat, in dem der junge Belmondo sich zwei Stränge Dynamit um den Kopf wickelt und anzündet, es sich dann aber anders überlegt und die Zündschnur löschen will, allein vergebens, deshalb ist der Freitod von Merckle-Middelhoff-Holtrop angereichert mit diesem abgegriffenen Slapstick - statt vergeblichem Versuch, die Zündschnur auszutreten, Ausrutschen auf der Schiene beim Versuch, im letzten Moment der Lokomotive auszuweichen. Diese Burleske so oft zitiert und variiert seit dem Pierrotlefou-Missgeschick, dass es gar nicht anders sein kann, als dass sie einem Autor einfällt in dem Moment, in dem er so eine Szene schreibt. Und dann entscheidet es sich, was für ein Autor er ist. 

Sonntag, 7. Oktober 2012

Bewunderer


Am Vortag 53 geworden. Heute Abend feiert er. Sein fünfzehnjähriger Sohn aus Köln ist da. Das jüngste von vier Kindern. Die anderen sind Mädchen. Alle schon volljährig. Zwei Ehen. Jetzt Amanda. Kennt er seit genau einem Jahr. Auf seinem Smartphone zeigt er mir ein Foto des Bildes, das er gerade verkauft hat. Der Sohn horcht auf: Du hast ein Bild verkauft? Der Vater bestätigt es stolz. Mehr Fotos verkaufter Bilder, an den Orten aufgenommen, wo sie jetzt hängen. Die meisten in Köln, wo er herkommt. Der Freundes- und Bekanntenkreis als Markt.


Foto des Hauses in Irland, das einem Freund gehört, dem er im September geholfen hat, es neu anzustreichen. In einer ausgesucht langweiligen Farbe, mit der es genau so gut in Zehlendorf stehen könnte. Aber es steht direkt am Wasser, an einem Süßwassersee, und gleich dahinter ist der Atlantik. Spektakuläre Landschaft, wenn man sie sehen kann und sich der Anblick nicht auflöst in Dunst und Regenwolken wie meistens. Und was ist das? Das ist das Modell eines Filmsets, das ich Amanda zum Geburtstag geschenkt habe. Amanda arbeitet in der Filmindustrie. Ein Filmset! Alleine schon die Idee. Und du hast den gebaut für deine neue Freundin? Aus altem Spielzeug von mir. Ich bin ehrlich platt: Du bist ja ein richtig toller Mann, sage ich. Im Augenwinkel sehe ich, wie sein Sohn aufmerkt und erstaunt zu mir herschaut. Es freut mich, dass er das gehört hat. Der Raum füllt sich mit Gästen. Ich wundere mich über die Freunde, die er hat. Einer ist der mit dem Haus in Irland. Komplimente für Haus und Landschaft. Und was ist in der Flasche, die du mitgebracht hast und es hat so eine exquisite Farbe? Das ist Pflaumenwein. Von ihm selbst gemacht. Gekeltert aus Pflaumensaft. 



Schmeckt so abgefahren wie es aussieht und geht direkt in den Kopf. So köstlich wie gefährlich. Und jetzt ein Foto von dir! Wäre sowieso zu dunkel geworden wie alle anderen Fotos, die ich gemacht habe. Aber er lässt es gar nicht so weit kommen. Reißt einen Arm hoch. Wenn ich ein Foto machen will, dann doch bitte so diskret, dass er es nicht merkt. Und den Puderzucker für deinen Arsch? Geblasen oder gepinselt? Habe ich nicht gefragt. Du bist doch kein Mädchen, habe ich gesagt und das war es dann. Nein, die Mädchenbemerkung hat ihn nicht beleidigt. Er kann was ab. Ich auch. Aber die Stimmung war gekippt. Wer ich bin, wollte er nun wissen. Wer ich in bin in Beziehung zum Gastgeber. Ich krame wortlos eine Visitenkarte aus meinem Mäppchen. Der Gastgeber sagt Blog und erzählt, dass ich schon mehrfach über ihn geschrieben habe. Ich bin ein Förderer von ihm, erkläre ich. Der Gastgeber fügt beschwingt hinzu: Und ein Bewunderer! Ich unterdrücke den dringenden Wunsch, das richtigzustellen. Jetzt keine Bärbeißigkeit. Kein Missklang. Ich habe mich wohlgefühlt in der letzten Stunde. Das will ich ihm jetzt zeigen, wenn ich mich gleich verabschiede. Ich bleibe nie lange. Das muss ich ihm nicht erklären. Das kann er sich bei mir denken. Aber dass er meint, ich sei ein Bewunderer von ihm, da hat er er etwas falsch verstanden. Da gehört schon noch ein bisschen mehr dazu, dass ich jemanden bewundere. So grob wollte ich ihm das nicht sagen. Trotzdem will ich, dass er das weiß.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Brasilien

Hallo.
Er: Hallo.
Seine Freundin grüßt nicht, weil sie gerade ihre Augen nicht von ihm lassen kann.
Er, sowieso schon ein prekärer Gesichtstyp mit einer Tendenz zur Maskenhaftigkeit, ist entweder zu lange in der Sonne gestanden oder hat zu lange auf einer Sonnenbank gelegen. Er sieht völlig entstellt aus, wie er da sitzt mit seiner Freundin vor einem Café.
Da ich die strenge Anweisung habe, mich in den nächsten zehn Tagen nicht kritisch zu äußern, aber auch meine Klappe nicht halten kann, sage ich im Weitergehen: Du bist aber braungebraaannt!
Ja, ich war in Brasilien, antwortet er und sagt das so, als habe er das heute schon öfter erklären müssen.
Oooh! sage ich darauf heuchlerisch anerkennend. Denn die Anweisung, die ich habe, verbietet es mir, so etwas wie Tadel auch nur anklingen zu lassen, etwa indem ich mich jetzt umdrehe und ihn frage, ob während seines Aufenthalts in Brasilien die Sonnenschutzmittel ausgegangen waren. Stattdessen belasse ich es bei dem anerkennenden Oooh! und hoffe jetzt nur, dass ich in den nächsten zehn Tagen nicht vollends zum Heuchler werde. 

Dienstag, 2. Oktober 2012

Schmähung

Grün, du Arschf***er! ruft ein ein älterer Mann mit Hängebauch und schlohweißen schulterlangen Haaren einem Fahrradfahrer hinterher, der rechts abgebogen ist mit Karacho vor der Nase des Mannes, der mit seiner Begleiterin den Fußgängerüberweg überquert hat. Und da sehe ich auch schon den gescholtenen Radfahrer, daran zu erkennen, wie er abbremst und sich umdreht nach dem Mann, der ihn einen Arschf***er genannt hat. Einen Moment lang sieht es so aus, als würde er umkehren und den Mann ansprechen wegen der Arschf***er-Beschimpfung, die er als Beleidigung empfinden muss, ganz gleich ob er passiv oder aktiv praktizierender Arschf***er ist oder nicht. Hätte der Radfahrer kehrt gemacht, wäre ich ihm gefolgt zu dem Mann mit dem Hängebauch. Doch aus den gleichen Gründen, aus denen ich mir nicht vorstellen kann, was der Radfahrer zu dem Mann sagt, wenn er ihn zur Rede stellt, kommt es nicht zum Dialog zwischen den beiden, macht der Radfahrer nicht kehrt und fährt weiter. Langer Kerl mit schon grotesk hohem Fahrradrahmen. So dumm wie lang, denke ich jedesmal, wenn ich einen wie ihn sehe auf seinem großen Fahrrad. Was natürlich ein unhaltbares Vorurteil ist und außerdem vorbeizielt an dem, was passiert, wenn so ein langer Kerl auf seinem Fahrrad um die Ecke brettert, ohne Rücksicht zu nehmen auf Fußgänger, andererseits allerdings auch, ohne sie zu gefährden, weil er von seiner hohen Warte alles überblickt und nur deshalb glaubt, sich über die Verkehrsregeln hinwegsetzen zu können. Da steht er drüber. Weshalb er es normalerweise nicht mitkriegt, wenn einem Fußgänger seinetwegen vor Schreck die Einkaufstüte aus der Hand fällt und empörte Zurufe und Verwünschungen erreichen ihn gleich gar nicht in seiner einsamen Höhe. Wenn sie nicht so schockierend anschaulich und überdies in Straßenverkehrskonflikten so ungewöhnlich sind wie der Gebrauch von Arschf***er in diesem Fall. Insofern hat der Mann auf dem Zebrastreifen alles richtig gemacht. Obwohl ich zugeben muss, dass ich es gut verstanden hätte, wenn der lange Radfahrer den Mann mit dem Hängebauch und den schlohweißen Haaren zur Rede gestellt hätte. Doch was hätte er zu ihm sagen sollen? Nur weil ich die Straßenverkehrsordnung missachte und mich rücksichtslos gegenüber Ihnen verhalte, haben Sie noch lange nicht das Recht, mich einen Arschf***er zu nennen, und zwar ungeachtet dessen, ob ich einer bin oder nicht. Nein, das wusste der Radfahrer von vornherein, dass er so mit einem Mann nicht würde reden können, der ihn einen Arschf***er nennt. Also hat er es gelassen und die Schmähung hat noch eine ganze Weile an ihm genagt. Und auch insofern hat der Mann auf dem Zebrastreifen im Grunde genommen alles richtig gemacht.