Wieder
mal der Solaris-Effekt in meinem Leben: Erst denke ich, es sind zwei
Penner, dann bemerke ich die Farbflecken auf ihren Hosen. Zwei Arbeiter
haben Feierabend. Der mit der Zipfelmütze hockt auf dem
Fahrradständer, streckt die Hand aus und lässt sich vom anderen Geld geben.
Danach rappelt er sich auf und geht in den
vietnamesischen Edeka-Laden. Ich überlege, ob ich mein Fahrrad neben
das Fahrrad im Ständer stellen soll oder neben den Ständer.
Der dem anderen das Geld gegeben hat, setzt sich an die Stelle auf
dem Fahrradständer, wo der andere hockte. Es ist noch genug Platz
für mein Fahrrad, aber wenn ich es in den Ständer stelle, ist nicht
mehr genug Platz zum Hinhocken für den mit der Zipfelmütze.
Ich stelle mein Fahrrad in den Ständer, schließe es ab. Der mit der
Zipfelmütze kommt zurück und zeigt seinem Kollegen schon von weitem
die zwei Flaschen Warsteiner, die er gekauft hat. Als er mein
Fahrrad sieht im Ständer, wird seine eben noch strahlende Miene
leidend. Ich beruhige ihn: Ich brauche nicht lange. Mein Fahrrad ist
gleich wieder weg. – Da ich nur zwei Sachen kaufe und an der Kasse
gleich dran komme, bin ich wie versprochen schnell wieder zurück. Die beiden Männer genießen ihr Bier. Der mit der
Zipfelmütze im Stehen, der andere auf dem Fahrradständer sitzend.
Noch zwölf Jahre bis zur Rente, sagt der Sitzende zu mir gewandt, während ich mein Fahrrad aufschließe, und dann
deutet er auf seinen Kollegen und sagt: Er hat nur noch fünf. –
Worauf der mit der Zipfelmütze sagt: Aber ich mache nur noch zwei.
Mehr brauche ich nicht. – Die beiden Männer haben den gleichen
Akzent. Östlicher Mittelmeerraum, vielleicht Triest. Ich wünsche
ihnen Alles Gute und fahre los. Das Hinterrad fühlt sich komisch an.
Das Hinterrad fühlt sich sehr komisch an. Ich halte an und sehe: der Reifen ist platt. Ich schiebe das Fahrrad zurück
zu den beiden Männern. Der mit der Zipfelmütze macht eine Bemerkung
zum anderen mit Blick zu mir. Ein kleiner Junge steht vor dem Eingang
des Supermarkts und ist gespannt, was ich jetzt mache. Er hat
bestimmt gesehen, wie sie mir die Luft aus dem Reifen gelassen haben.
Ich sage zu den Männern: Ich war freundlich zu euch. Warum
habt ihr das gemacht? – Sie fragen nicht: Was gemacht? Sie
beteuern sofort, es nicht gemacht zu haben. Sie hören gar nicht mehr
auf zu beteuern, es nicht gemacht zu haben, während ich meine
Luftpumpe aus dem Rucksack nehme, um den Reifen aufzupumpen. Die
Ventilschraube ist um mindestens drei Umdrehungen aufgedreht.
Der mit der Zipfelmütze meint, der Reifen müsse schon vorher platt
gewesen sein, immer wieder sagt er das. Und am besten ist, als er
erklärt, wenn er das gemacht hätte, dann hätte er aus beiden
Reifen die Luft raus gelassen. Ich pumpe und sage nichts. Und je
länger ich schweige, desto besser ist es. Ich denke, was für
ehrlose Kerle das sind, die so etwas machen und hinterher verstecken sie sich wie kleine Jungs hinter Unschuldsbeteuerungen. Ich bemerke aber auch, wie
selbstverständlich ihnen ihr unverfrorenes Verhalten ist. Und das ist der
Grund, weshalb ich schweige und weshalb das gut ist. Ich habe keinen
Groll gegen sie. Mir ist auch schon klar, dass es um nicht mehr als einen platt
gemachten Fahrradreifen geht. Ich wundere mich nur, wie lange es dauert,
bis der Reifen aufgepumpt ist. Und dann denke ich, dass ich gerade wieder einen dieser Solaris-Momente in meinem Leben habe. Aber heute ist es nicht lästig oder albern. Denn nun weiß ich, wie ich mich in einem ganz anderen, aber sehr
ähnlichen Fall verhalten werde, und dass es gar nicht anders sein
kann als so.