Donnerstag, 13. September 2012

Dreck

Die Frau mit dem Einkaufstrolley hat gesehen, dass ich die Apotheke und ein paar Schritte weiter die Kneipe fotografiert habe, und jetzt fragt sie mich, was es denn da zu fotografieren gibt. Die furchtbaren Balkone? - Da ich alle Menschen ernst nehme, viele dann aber doch nicht so richtig, antworte ich: Es geht nicht um das einzelne Bild. Das Bild steht im Zusammenhang einer Geschichte, die ich erzähle. Da habe ich nämlich noch vor, die Bildgeschichte über die Kirche von Johann König damit zu beginnen, dass ich das Viertel zeige, in dessen Mitte die Kirche sich erhebt zu ihrer ganzen Scheußlichkeit (ich bin immer noch nicht drüber hinweg). Die Frau fragt mich nicht, was für eine Geschichte ich erzählen will mit den Fotos. Die Frau würde es auch nicht interessieren, wenn ich ihr von Johann König erzählen würde. Und für mich interessiert sie sich nur, weil sie sich bei mir über den Niedergang des Viertels beklagen kann, in dem sie seit 50 Jahren wohnt. 

Der Niedergang kommt daher, dass hier mittlerweile ganz andere Menschen leben als früher. Leute, die ihre Wäsche aufhängen, wo und wie es ihnen passt. Als wären sie zu Hause bei sich in Italien, sagt die Frau. - Dann sind Sie also ausländerfeindlich? frage ich. - Nein, auf keinen Fall ist sie ausländerfeindlich. Aber es kann doch nicht jeder machen, was er will. Wenn sie zurückdenkt, was es früher für strenge Regelungen gegeben hat in der Siedlung. - Ich möchte noch ein bisschen über Fremdenfeindlichkeit reden und die Frau damit quälen. Ich sage, Ausländer zeichnen sich nun mal dadurch aus, dass sie anders sind. - Da lacht sie und sagt vergnügt, das stimmt.

Sie bleibt vor dem Eingang zu einer Wohnanlage stehen. - Wohnen Sie hier? - Nein. Sie besucht ihre Schwester. Hier könnte sie es nicht aushalten. Bei dem Dreck in dem Haus. - Das Wäscheaufhängen. Der Dreck. Die Höflichkeit. Ich kann sie nun nicht einfach stehen lassen, nachdem ich so lange mit ihr geredet habe. Ich erkundige mich, wo sie wohnt. Sie zeigt in die Richtung, aus der wir kommen. Dort gibt es anscheinend nicht so viel Dreck und so ruhig ist es da, dass sie nachts das Schlafzimmerfenster offen lassen kann. - Das heißt doch dann aber auch, dass die Gegend sicher ist. - Nein, das heißt es nicht. Sie hat natürlich die Jalousien unten. Rollläden, meint sie wahrscheinlich. Aber bloß jetzt nichts mehr sagen. Weg, weg, weg! 1961 ist sie in das Viertel gezogen. Wie alt war sie da? Fünfundzwanzig, dreißig? Und mit dem Dreck in dem Wohnblock, in dem ihre Schwester wohnt, ist es so, dass die Hausverwaltung sich nicht um ihn kümmert. Nur wenn man sie anruft. Dann kommt jemand und macht den Dreck weg. Aber kaum ist das geschehen, ist der Dreck wieder da. Da hat sie auch gelacht, als sie das erzählt hat.